Für eine schöne Fassade braucht es drei Dinge.

  1. Geschosshöhe,
  2. Geschosshöhe,
  3. Geschosshöhe.

In meinen Augen ist es ratsam, die Geschosszahlen in den Bauleitplanungen festzulegen, weniger die Wandhöhen. Bei einer festen Wandhöhe werden Investoren verlockt, ein Geschoss mehr hineinzupacken. Es gibt viele Straßenzüge, wo das geschehen ist. Vor dem Krieg wurde Erdgeschoß plus drei Obergeschosse gebaut, nach dem Krieg hat man ein viertes Obergeschoß hineingequetscht – die Wandhöhe blieb gleich. Das ging freilich zu Lasten der Geschosshöhe. Die Raumhöhen der einzelnen Etagen sind niedriger, die Decken drücken, die Fensterformate sind gestaucht. Außerdem hat der Gestalter weniger Fläche die Fenster zu formen, weil zwischen Brüstungshöhe und Geschossdecke wenig Höhe bleibt – und ein Rollladen soll ja heute auch noch hinein.

Ein moderner Aufbau einer Geschossdecke hat mindestens 35cm. Die Tendenz geht zu 40. Bei Geschosshöhe 300 bleiben also noch 260cm lichte Raumhöhe. Davon gehen 90cm für die Brüstung weg und 30 für einen Rollladenkasten. Es bleiben 140cm Fensterhöhe. Nicht viel; wenn man einen Raum belichten will, der gerne 4 Meter tief ist. Natürlich kann man die Brüstung auch verglasen, das bringt aber für die Tiefenbelichtung des Zimmers wenig. Besser wäre es, die Geschosshöhe auf 320cm zu legen. Dieser Wert war in der Gründerzeit oder im Paris unter Haussmann durchaus normal. Wir konnten uns diese Höhen schon einmal leisten. Die Wohnräume werden so höher und luftiger. Hohe Fenster bringen auch eine bessere Tiefenbelichtung. Damit lockt der Investor auch mehr Interessenten an und bindet sie. „Hohe Decken“ sagen die Makler. So kann man über die hohe Nachfrage seinen Schnitt machen. Besser wäre es, die Geschosshöhe gleich in den Bebauungsplan auf ein Mindestmaß zu setzen. Weniger wichtig ist dabei die Wandhöhe. Schwarz-Weiß Fotos zeigen, wie unterschiedlich früher die Wandhöhen der Stadthäuser waren, dem „Ensemble“ tat das keinen Schaden. Im Gegenteil: hüpfende Traufen werden als nette Abwechslung gelesen. Weniger verzeihlich ist ein Sprung in der Geschossigkeit. Das sehen wir sehr schön am Frankfurter Römerberg: Es ist eigentlich egal, ob die Häuser giebel- oder traufständig stehen. Es ist egal ob die Häuser schmal oder breit sind. Auch die Neigungen der Dächer sind nicht so wichtig. Das macht das Ganze eher lebhaft. Unpassend wird es erst, wenn die Geschossigkeit unter den Dächern verworfen wird. Und wenn dann noch dröge, glotzende Fensterformate in der Fassade stecken, wird es kritisch.

In München-Schwabing war die übliche Geschoßkonfiguration E+III+D. Diese war vor dem Krieg in vielen Großstädten normal. Sie findet sich zum Beispiel auch im Stuttgarter Heusteigviertel. Sie erzeugt Dichten um die 15’000 Einwohnern pro Quadratkilometer. Das bedeutet: auf einem Quadratkilometer wohnt eine ganze Kleinstadt. Mit positiven Folgen: Restaurants sind auch mittwochs voll und der Einzelhandel funktioniert auch zu Fuß. So bietet die Hohenzollerstraße in Schwabing eine Einkaufsmeile weitab der Fußgängerzone mit Buchläden, Boutiquen, Metzgereien, Friseursalons, Möbelgeschäften und natürlich der städtebaulichen Sternstunde – dem Elisabethmarkt. Möge Gott geben, dass sie diese Zeiten überleben. Sinken die Einwohnerdichten aber unter 10’000, werden diese Flaniermeilen unrentabel. Es ist einfach eine Frage der Statistik: Wenn auf einem Quadratkilometer 15’000 Menschen leben, haben an einem beliebigen Mittwoch etwa 41 Geburtstag. Da die Wohnung klein ist und die Nachbarn nicht strapaziert werden wollen, gehen die Jubilare gern abends mit Freunden in eine Bar oder mit dem Partner in ein schönes Restaurant. Ein Gastwirt spricht hier also mindestens 41 Geburtstagskinder pro Tag in fußläufiger Entfernung an. Rechnen wir einen Lebenspartner als Gast hinzu, sind es schon 82 Menschen, die Nachfrage nach einer Weinkarte haben. Da man zu Fuß kommen kann, können auch beide Teile dem Weine zusprechen. Das erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass nachgeordert wird. Bis man sich umsieht, hat der Wirt zwei Gläser Sekt, eine Flasche Rotwein, zwei Flaschen Mineralwasser und zwei Digestifs verkauft. Dazu Espresso und Dessert. Ich weiß das klingt für viele mittlerweile abstrakt, aber früher war das so mit diesen Restaurants.

In der Kleinstadt leben unsere 15’000 Einwohner auf das gesamte Stadtgebiet verteilt. Das können schon einmal 50 Quadratkilometer sein. Sie leben im Einfamilienhaus und haben oft einen Immobilienkredit stehen. Das heißt, es ist Platz und die Nachbarn sind auf fremdem Grund. Man feiert zu hause. Geht man mit dem Schatz dennoch ins Lokal, muss man das Auto nehmen, denn in den Wohngebieten werden keine Schankrechte mehr ausgegeben – zu hoch die Gefahr von Lärmschutzklagen. Das heißt unser Wirt verdient schlechter an den Getränken. Wenn ein Partner nichts trinken darf, wird der Gastronom keine Flasche Wein los. Das ist meiner Meinung nach die Erklärung, warum in Kleinstädten so häufig die Pächter wechseln. Was die Flaniermeilen betrifft, so sind diese bei Dichten unter 15’000 nur noch „indoor“ möglich, wo die Flaneure in Funktionskleidung mit dem Auto ins Parkdeck fahren können. Ein Aufzug bringt sie dann in die Ladenstraße. Dort haben sie keine Chance mehr, der Kaufhausmusik zu entkommen.

Zuerst veröffentlicht auf Facebook am 14.02.2021